Wird von Digitalisierung und Sicherheit gesprochen, denken die meisten Menschen instinktiv an Datenschutz und IT-Sicherheit – das ist nachvollziehbar, bedeuten mehr und umfassender vernetzte Computersysteme doch auch mehr Angriffsfläche für Hacker. Überschattet von diesem medial wichtigen Thema zeichnen sich aber auch in der Arbeitssicherheit und dem Risikomanagement gewaltige Veränderungen ab.
Denn die digitale Transformation steht nicht nur für elektronische Innovation. Auch greifbare Veränderungen in den Fabrikhallen des Landes, in Produktionsprozessen, Umweltschutz, Verkehr und mehr sind die direkte Folge der allgegenwärtigen Modernisierung. Diese Neuerungen haben direkte, physische Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern, Kunden und den Anlagen und Umgebungen der Unternehmen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch die klassischen Arbeitssicherheits-Abteilungen intensiv mit der Digitalisierung befassen, neue Technologien implementieren und Veränderungen kritisch und vorausschauend analysieren. Die große Herausforderung liegt hierbei in der Sicherstellung eines gefahr- und reibungslosen Betriebs, ohne die gewaltigen Potenziale der digitalen Transformation zu behindern oder ihre Umsetzung zu verlangsamen.
Neue Technologien und ihre Wirkungen
Zahlreiche neue Geräte und Konzepte bestimmen unseren digitalen Alltag. Dies umfasst neben physischen Technologien auch Software oder soziokulturelle Aspekte, die alles andere als greifbar sind. Auch sind diese Veränderungen nicht nur auf unseren Arbeitsplatz beschränkt. Ganz im Gegenteil: Die Allgegenwart der Digitalisierung ist es, was sie so wirkungsvoll macht.
Die Arbeitssicherheit ist unter diesen Vorzeichen umfangreich betroffen, denn – wenn man es genau nehmen möchte – wird sie von fast jeder Veränderung beeinflusst. So können zum Beispiel die Auswirkungen von Smartphones, die auf das menschliche Gehirn wie Heroin wirken, zu den Gefahren des betrieblichen Risikomanagements gezählt werden. Denn die Sicherheit am Arbeitsplatz könnte unter den verringerten Aufmerksamkeitsspannen und der emotionalen Unausgeglichenheit leiden.
Sich auf solche, extrem detaillierten Gefahren einzustellen, wäre jedoch in Anbetracht dringenderer Probleme schnell unverhältnismäßig. Arbeitssicherheitsbestrebungen in Zeiten der Digitalisierung sind daher, wie auch schon in den Jahrzehnten zuvor, stets eine Frage der Priorisierung von Risiken.
Diese simple Erkenntnis bringt eine gewisse Konstanz in den Bereich und erlaubt oft ein besonnenes, strukturiertes Vorgehen. Dies kann im krassen Gegensatz zu anderen Abteilungen stehen, die als Treibkraft oder Spielball der Digitalisierung schwierigen Zeiten entgegensehen. Nichtsdestotrotz seien an dieser Stelle einige spezifische Technologien erwähnt, die erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit haben können.
Internet of Things
Die Vernetzung von Systemen, Geräten, Sensoren usw. und der automatisierte Datenaustausch werden unter dem Begriff „Internet der Dinge“ (Internet of Things) als Teil der Digitalisierung geführt. Das Ziel solcher Bestrebungen kann dabei ganz unterschiedlich ausfallen: von der Automatisierung der Beleuchtung und Heizung eines Wohnhauses über den Datenaustausch von Fahrzeugkomponenten, um den Benzinverbrauch eines PKW zu reduzieren, bis hin zu automatisierten Fabrikationsanlagen, die selbstständig den Output optimieren oder den besten Zeitpunkt für eine Wartung berechnen.
Das IoT bedeutet dabei in erster Linie umfangreiche Verbesserungen für die Arbeitssicherheit, da intelligente Sensoren und Geräte blitzschnell und vollautomatisch auf potenziell gefährliche Veränderungen reagieren können. Da das Internet of Things auch eine Vernetzung von Komponenten bedeutet, die in der Vergangenheit nicht Teil eines Netzwerks waren – oder oft nicht einmal elektrisch – nimmt die Steuerbarkeit, Reichweite und Nützlichkeit von solchen digitalen Anlagen zu. Einfach gesagt: Die Digitalisierung macht Bereiche Mess- und Steuerbar, die in der Vergangenheit oft noch rein mechanisch funktionierten.
Das „Andocken“ neuer Bereiche sowie die Startphase solcher Systeme wartet jedoch auch mit einigen Gefahren auf. Insbesondere, wenn größere Teile eines Unternehmens in ein IoT-Konzept überführt werden, zeigen sich zu Beginn oft Probleme. Eine Einlernperiode für das neue System kann bei großen Wechsel-Projekten sinnvoll sein. Das enge Monitoring durch die Mitarbeiter und das Vorgängersystem ist daher gängige Praxis.
Diese Schwierigkeiten haben Soft-Migrations beliebt gemacht, in deren Rahmen Systeme Stück für Stück (Gerät für Gerät) angedockt werden. Das IoT Konzept löst den technischen Vorgänger dabei nach und nach ab. Während diese Methode ihre eigenen Tücken aufweist, bietet sie doch auch attraktive Vorteile für viele Unternehmen, weshalb eine Prüfung im Rahmen von Digitalisierungsbestrebungen anzuraten ist.
Mit den nun zur Verfügung stehenden Sensoren und umfangreichen Datenmengen können nun nicht nur Optimierungen der Produktivität vorgenommen werden; auch Sicherheitsvorkehrungen können wesentlich besser überwacht werden. Dabei lassen sich solche Gefahren automatisch erkennen und in Sekundenbruchteilen kommunizieren – Geschwindigkeiten, bei denen ein menschliches Monitoring nicht mithalten kann.
Wearables
Unter Wearables versteht man Digitalgeräte, die am Körper getragen werden können. Smart Watches und Fitness-Tracker zählen mit Abstand zu den bekanntesten Geräten. Die Verwendung von Brillen mit Augmented Reality Funktionen erfuhr ebenfalls einige Aufmerksamkeit, geriet aber durch das Scheitern der initialen Google Glasses in einen zweifelhaften Ruf.
Insbesondere in der Industrie kommen die – ansonsten wenig Beachtung findenden – intelligenten Brillen vermehrt zum Einsatz. Sie können zum Beispiel per Kamera das Sichtfeld eines Technikers analysieren und die zu bearbeitenden Maschinen-Komponenten auf dem Brillenglas markieren und animieren. Mit ähnlichen Methoden werden heute bereits in der Lagerhaltung ideale Wege markiert und die Einlagerung oder Entnahme von Gütern automatisch erfasst.
Smart Glasses haben dabei ein erhebliches Potenzial, Sicherheitsrisiken im Arbeitsalltag durch ihre Echtzeit-Analysen zu minimieren. Dabei können etwa neue Mitarbeiter von den passend eingeblendeten Hinweisen profitieren – und auch langjährige Kollegen an Vorschriften und Richtlinien erinnert werden. Sicherheitsrisiken lassen sich dabei, ohne Zutun des Trägers, erfassen und an die zentrale Datenverarbeitung übertragen. Während in der Schaltzentrale Gegenmaßnahmen erdacht werden, erhält der Mitarbeiter direkte Anweisung für den Umgang mit dem jeweiligen Problem.
Während die Brillen primär für die Steigerung der Produktivität und Jobqualität erdacht wurden, bieten sie somit auch interessante Nebeneffekte für die Arbeitssicherheit. Wie alle Wearables können Trackingfunktion darüber hinaus den exakten Standort eines Mitarbeiters bestimmen und so genaue Bewegungsmuster erstellen. Diese Daten können, insbesondere in Risikoumgebungen, zur Unfallvermeidung beitragen. Eine entsprechend schnelle Datenverbindung (5G ist in diesem Kontext ein häufig erwähntes System) vorausgesetzt, ließen sich zum Beispiel auch hoch qualifizierte Experten zuschalten, die Anhand des übertragenen Kamerabildes technische Wartungsarbeiten begleiten könnten. Dabei können Punkte im Sichtfeld des Vor-Ort-Teams markiert werden, um zusätzliche Klarheit zu schaffen.
Auch andere Geräte, wie intelligente Helme oder die bereits erwähnten Smart Watches können im professionellen Umfeld mit großem Erfolg zum Einsatz kommen. Sie ermöglichen etwa die Kommunikation mit anderen Arbeitern oder der Zentrale einer Anlage. Zu dieser Verständigung zählen auch die Sensoren, die insbesondere durch immer häufiger anzutreffende Internet of Things Systeme zur Verfügung stehen. Ein solches System kann einen Mitarbeiter intelligent durch Fabrikhalle steuern, Daten zu potenziellen Gefahrenquellen in Echtzeit erhalten und weitergeben und Laufwege dadurch bestmöglich anpassen.
Big Data und Predictive Analytics
Mit der großen Datenmenge, die uns plötzlich zur Verfügung steht, sowie den neuen Technologien in der Verarbeitung selbiger, ergeben sich nun bisher ungeahnte Möglichkeiten. Auslastungen, Bedarf, der beste Wartungszeitpunkt (Predictive Maintenance) und vieles mehr lassen sich dank Big Data präzise vorhersagen.
Diese erheblich verbesserten Analysemöglichkeiten erlauben eine bessere Auslastung von Maschinen, Anlagen und Gebäuden. Durch die Vermeidung von Stoßzeiten, in denen es – naturgemäß – besonders stressig zugehen kann, reduziert sich auch die Unfallgefahr. Die datengestützten Arbeitsprozesse erzeugen einen reibungsloseren, ausgeglicheneren Ablauf, der einen wichtigen, passiven Faktor für erhöhte Sicherheit darstellt.
Dabei geht es nicht nur um körperliche Gefahren oder Schäden an Geräten. Mit dem Treffen von intelligenten Vorhersagen im Rahmen von Predictive Analytics Anwendungen und den damit verbundenen Verbesserungen im Arbeitsalltag sinkt auch die psychische Belastung und Stress der Mitarbeiter. Mit 143 Millionen Arbeitsausfällen pro Jahr ist Migräne die häufigste Ursache für den Krankenstand. Als besonders Stress-Abhängiges Krankheitsbild bedeutet ein verbessertes Arbeitsklima weniger Krankheit und eine höhere Arbeits- und Lebensqualität der Betroffenen. Von den verringerten Ausfällen für die Unternehmen ganz zu schweigen.
Ähnliche Bilder ergeben sich auch für andere, typische Berufskrankheiten. Big Data und die dadurch möglichen Vorhersagen sind effektive Mittel, diese Probleme zumindest teilweise zu kompensieren. Auch direkte Gefahrensituation lassen sich aber mit dieser Technologie vermeiden.
Anhand historischer Daten und mit ausreichenden Messpunkten lassen sich nahezu alle Ereignisse Vorhersagen. Dies kann sowohl den Zustand eines Geräts als auch eventuelle Gefahrenquellen betreffen. Dabei ist die Verwendung der gesammelten Informationen zur Berechnung von besonders bedenklichen Aktivitäten oder Bereichen besonders lohnend. Die Ursachen vergangener Unfälle können, sofern bekannt, mittels künstlicher Intelligenz in verschiedene Szenarien übertragen werden – die es dann natürlich zu vermeiden gibt. Die Möglichkeit, aus den vorliegenden Daten neue Erkenntnisse zu gewinnen und diese zur Schaffung einer weniger gefährlichen Arbeitsumgebung zu verwenden, ist daher der größte Vorteil des KI-Einsatzes.
Notwendige Voraussetzungen
Um in den Genuss der zahlreichen Vorteile der Digitalisierung für die Arbeitssicherheit zu kommen, sind einige Grundvoraussetzungen nötig. Dazu zählt zum einen die möglichst breite Verfügbarkeit der entsprechenden Systeme und Technologien.
Ein Internet of Things Konzept, das ein einziges Lager, Büro oder Abteilung vernetzt, lässt sich zwar auch mit einigem Erfolg einsetzen; wer jedoch spürbare Effekte für die Sicherheit im Unternehmen erleben möchte, sollte von Anfang an auf umfassende Lösungen setzen. Denn erst mit steigender Reichweite, höherem Vernetzungsgrad, mehr Sensoren, umfassenderem AI-Einsatz usw. profitiert auch die Arbeitssicherheit von den neuen Maßnahmen.
Dies gilt in gleicher Weise für den Einsatz von Wearables wie für Predictive Maintenance, Predictive Analytics und andere Methoden. Je höher der Technologieanteil in einem Unternehmen, desto mehr Vorteile lassen sich aus einer verbesserten Vernetzung und automatisierten Kommunikation ziehen – die Arbeitssicherheit ist dabei keine Ausnahme.
Der Datenschutz und die IT-Sicherheit müssen auf entsprechend hohem Niveau operieren, um eine verlässliche Grundlage für Arbeitssicherheitsmaßnahmen zu bieten. Teilweise sind sogar Strukturen zu beobachten, in denen diese Aufgaben mit der Arbeitssicherheit zusammengefasst oder in interdisziplinären Teams aufgestellt sind.
Da der Großteil der Firmen diese Themenfelder jedoch weiterhin in den Bereichen IT-Infrastruktur, Hosting und Betrieb und/oder dem Rechtswesen ansiedelt, wird an dieser Stelle nicht näher auf die Grundlagen der Datensicherheit in Zeiten der digitalen Transformation eingegangen.
Insbesondere in Belangen der Sicherheit von Arbeitnehmern und Anlagen gleichermaßen ist jedoch ein besonderes Grundvertrauen in die zugrundeliegende Technologie vonnöten. Höhere Aufwände für Tests und Betreuung sind daher oft die Regel, um den entsprechenden Reifegrad zu garantieren, der in diesem Bereich gegeben sein sollte. An der Sicherheit der Arbeitnehmer zu sparen ist stets der falsche Weg.
Fazit
Im Vergleich mit anderen Abteilungen zeichnet sich die Arbeitssicherheit durch eine sehr „handfeste“ Anwendung neuer Technologien und der Digitalisierung im Allgemeinen aus. Neue Geräte kommen Reihenweise zum Einsatz, um erhöhte Sicherheitsstandards sicherzustellen. Dies macht die digitale Transformation hier oftmals besser plan- und umsetzbar. Während andere Bereiche eines Unternehmens oftmals stärker von Verbesserungen im Bereich Software, Arbeitsweisen oder Kultur profitieren (und diese natürlich auch in der Arbeitssicherheit erhebliche Auswirkungen haben), kann mit der Anschaffung neuer Sensorik oder Wearables bereits eine große Anzahl bisheriger Sicherheitsgefahren behoben werden.
Darüber hinaus ist das Sicherheitsfeld ein großer Nutznießer von Technologien und Konzepten, die ursprünglich für andere Aufgaben eingeführt wurden. Diese passive Nutzung verlangt einiges an Kreativität – erlaubt aber die Nutzung erheblicher Synergieeffekte.
Da die hohe Anzahl an Veränderungen, die im Rahmen der digitalen Transformation in den Unternehmen stattfinden, auch fast immer Auswirkungen auf die Sicherheit haben, ist hier in den nächsten Jahren viel Energie und Aufmerksamkeit nötig. Der Bereich ist daher nicht nur einem generellen Wandel unterworfen, sondern wird auch in den meisten Firmen eine wichtigere Rolle einnehmen (müssen).