Digitalisierung in der Praxis: Forschung und Entwicklung

Die Digitale Transformation verändert Bereiche von Unternehmen durch Internet of Things, Blockchain, AI, Wearables … Forschung und Entwicklung ist dabei keine Ausnahme

Auch in der Digitalisierung ist Innovation der wichtigste Motor wirtschaftlichen Wachstums weltweit. Kein Wunder, dass Unternehmen viel Energie dafür aufwenden, dies zu unterstützen, auszubauen und zu nutzen. Die Auslagerung solcher Bemühungen in einen eigenen Bereich für Forschung und Entwicklung ist daher ein logischer Schritt.

Wie keine andere Abteilung steht F&E für das Verstehen, Bewerten und Nutzen von neuen Technologien. Es ist daher nur verständlich, dass die digitale Transformation diese Bemühungen befeuert und ihre Wichtigkeit erhöht: Forschung und Entwicklung ohne dedizierten Digitalfokus scheint heute geradezu absurd.

Aber wie kann die Digitalisierung, ganz konkret, für Research und Development Bereiche in verschiedenen Branchen aussehen? Hier ein Überblick

Generelle Effekte

Die Digitalisierung hat dramatische Auswirkung auf die Innovationskraft verschiedener Unternehmen und nicht alle davon sind positiv. Betrachten wir Beispielsweise Weltkonzerne mit mehr 2 Milliarden in Umsätzen, dann lassen sich anhand aktueller Studien folgende Aussagen treffen:

  • In den nächsten 17 Jahren besteht eine 50 % Chance, dass diese Unternehmen nicht einmal mehr Teil der Fortune 1000 sein werden.
  • Sie investieren immer weniger in Grundlagenforschung in der Annahme, Universitäten und staatliche Einrichtungen würden diese Aufgabe übernehmen.
  • Die Effizienz ihrer internen Research&Development Einheiten sinkt kontinuierlich
  • Ihr Geschäft wächst inkrementell, größere Steigerungen sind aber entweder unmöglich oder nur durch große Opfer zu erbringen.
  • Konkurrenten sprießen förmlich aus dem Boden und greifen das Geschäftsmodell mit neuen, vormals undenkbaren Ideen und Systemen an.

Grund für diesen düsteren Ausblick ist die Tatsache, dass Business Model Innovation und Innovation im Allgemeinen nicht nur einen zu geringen Fokus erfahren, sondern auch nicht den Zeichen der Zeit folgen: R&D muss tief in den Erkenntnissen der digitalen Transformation verwurzelt sein, um auch heute noch nachhaltigen Wert zu stiften. 

Das schnelle, vorurteilsfreie Integrieren neuer Technologien und Modelle – ganz zu schweigen von den wichtigen soziokulturellen Veränderungen – ist Grundvorausetzung für dauerhaften unternehmerischen Erfolg. Mit dem Verzicht auf Forschung in der Hoffnung, diese Aufgabe an Universitäten auslagern zu können, erreichen viele Unternehmen jedoch genau das Gegenteil, denn sie überlassen die Nutzung neuer Erkenntnisse mutig(er)en Start-ups.

Größeren Unternehmen bleiben daher meist nur zwei Optionen:

  1. Solche Start-ups suchen, mit ihnen zusammenarbeiten oder sie selbst gründen oder
  2. Bereits gereifte Newcomer aufkaufen oder die Zusammenarbeit suchen

In jedem Fall aber wird der Wert außerhalb des Unternehmens produziert und anschließend recht umständlich internalisiert. Die deutlich effizientere Taktik ist, diese Innovation selbst zu erzeugen und zu nutzen.

Hierbei zeigen sich nun deutliche Unterschiede zwischen führenden Firmen und solchen, die Forschung und Entwicklung nicht in den digitalen Fokus setzen: Während die Effektivität von R&D Bestrebungen im Allgemeinen kontinuierlich sinkt, steigt sie bei den führenden 10 % der Unternehmen drastisch an. Insbesondere die scheinbar einfachen Ideen sind es, die größte Effekte erzeugen – aber auch am schwierigsten zu managen und vermarkten sind.   

Daraus lässt sich schließen, dass die Bedeutung der Forschung ungebrochen hoch ist oder durch die digitale Transformation sogar noch gestiegen ist. Research&Development wird von vielen Experten als treibende Kraft der Digitalisierung gesehen, die wiederum der einzige erkennbare Weg zu dauerhaftem Erfolg zu sein scheint. Ein Verzicht auf eines der beiden Konzepte hat katastrophale Folgen.

Um eine grundlegende Transformation zu ermöglichen, ist das Verständnis für die direkt und indirekt wertstiftende Wirkung der Forschung nötig. Um dieses Potenzial auszuschöpfen ist der Einsatz von Technologie, Plattformen und der Nutzerbasis nötig. Drei Konzepte, die sich in vielen Aspekten der Digitalisierung wiederfinden. So können Unternehmen die Ideen der Nutzer aufgreifen, eine Plattform für diese Produkte schaffen und im Anschluss zum Beispiel durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz optimieren.

Dabei hat sich gezeigt, dass das Vermeiden von gedanklichen oder technischen Restriktionen besonders wichtig ist. Wer ein neues Business Model ablehnt, weil es dem Selbstverständnis des Unternehmens nicht entspricht oder weil das nötige Tech-Knowhow noch nicht bereitsteht, hat die Zeichen der Zeit hinsichtlich Forschung und Entwicklung eindeutig nicht verstanden. Diese scheinbar radikale Philosophie ist der einzige Ansatz zur langfristigen Sicherstellung einer führenden Marktposition.

Wie die Digitalisierung F&E beeinflusst

Die Macht liegt beim Kunden

Der Endkunde hat das Steuer der Produkt- und Marktpolitik längst übernommen. Dank Smartphone, Laptop und Co. ist Information zu einem Service oder Produkt überall und jederzeit verfügbar. Vollmundige Behauptungen, die von der Marketingabteilung in die Welt gesetzt werden, erfahren einen sofortigen „Fact Check“. Die Angebote der Konkurrenz werden auf günstigere Alternativen hin geprüft und selbst das Image eines Unternehmens durchleuchtet, bevor eine Kaufentscheidung gefällt wird.

Zu den Extrembeispielen zählen etwa Finanz- und Versicherungsleistungen. Hier wird von den meist männlichen Kunden in oft stundenlanger Recherche jedes Vertragsdetail analysiert, in einschlägigen Foren besprochen und mit den Mitbewerbern verglichen. Die Folge ist ein starker Leistungsdruck, gesunkene Margen und ein gigantischer Erfolg junger Start-ups, die mit transparenten Angeboten und offener Politik in kürzester Zeit riesige Marktanteile gewinnen konnten, während der klassische Bank- und Versicherungssektor vielerorts strauchelt. ETF Investments oder P2P Kredite sind hierfür ein Paradebeispiel.

Diese Entwicklung, die von der Digitalisierung vorangetrieben wird, ist für Unternehmen problematisch und stellt (neben dem Marketing) insbesondere den Bereich Forschung&Entwicklung vor große Herausforderungen. Da die historische Marktposition und der Ruf kaum noch langfristige Tragweite haben und nicht mehr darüber hinwegtäuschen können, wenn das eigene Produkt hinter der Konkurrenz zurückfällt, muss die Neu- und Weiterentwicklung schneller und direkter Erfolgen.

Diese kürzeren Entwicklungszyklen lassen sich – und das ist die gute Nachricht – mit genau den Mitteln realisieren, die sie erst notwendig gemacht haben: Die Übermacht des Kunden und die Verwendung der allgegenwärtigen Daten ist der Schlüssel zum Erfolg. In immer engeren Intervallen, idealerweise sogar in Echtzeit, werden die Meinungen und Wünsche der Kunden abgefragt. Zusammen mit den Informationen, die durch den umfänglichen Einsatz von Big Data zur Verfügung stehen, wird ein detailreiches Bild der Kundenbasis erstellt und ihre Interessen und Bedürfnisse umgehend durch die eigenen Produkte zufrieden gestellt.

Diese direkte Kommunikation und schnelle Umsetzung verlangt von den F&E Abteilungen selbst den umfangreichen Einsatz von Technologie und modernen Arbeitskonzepten. Ohne die Hilfe von künstlicher Intelligenz, agiler Arbeitsweise, Cloud Computing und anderen Lösungen wird es zusehends unmöglich, mit diesem Tempo mitzuhalten. Die Research Departments werden zusehends zum Vorreiter in Sachen Digitalisierung – aus reinem Selbstzweck.  

Neue Produkte – neue Fähigkeiten

Die Produkte, die in unserer digitalisierten Gegenwart erfolgreich sind, unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen, die noch vor wenigen Jahren den Markt dominierten. Digitaltechnik, Softwareentwicklung, Programmierung künstlicher Intelligenz und andere Disziplinen bestimmen heute den Arbeitsmarkt, da sie die Angebote vieler Unternehmen unerlässlich geworden sind.

Ein vorzügliches Beispiel bildet hierbei die Autoindustrie: Während sie traditionell auf Ingenieurskunst und auf die Entwicklung neuer Materialien setzte, hat sich der Anspruch in den letzten Jahren fast vollständig gewandelt. Mit der zunehmenden Elektrifizierung und der anschließenden Digitalisierung der Fahrzeuge wurden völlig neue Fachkenntnisse erforderlich. Moderne Connected Cars entwickeln sich vor allem hinsichtlich Software, Rechenpower und digitaler Sensoren weiter und kaum noch im Bereich Mechanik.

Die Rolle des Automobilingenieurs wandelte sich ebenso und wird zusehends durch Software und AI-Experten ergänzt oder gar ersetzt. Eine in Sachen Digitalisierung weitgehend abgehängte,  klassische Ingenieurs-Nation wie Deutschland, die nicht nur im internationalen Vergleich gravierend weniger in Innovation investiert, sondern oft auch noch in den falschen Bereichen, spürt diesen Effekt: Die einstmals weltweit dominierenden deutschen Autobauer sind international in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, da ihre Produkte den geänderten Anforderungen der Kunden nicht nachkamen, während die der Konkurrenz dies taten.

Dies dient als Beispiel für fehlende Kommunikation mit den Kunden (Siehe 1.) sowie für veränderte fachliche Anforderungen. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Autobauers, die weiterhin primär auf mechanische Innovation setzt anstatt verstärkt in den Bereichen Digitalkompetenz und KI-Knowhow zu investieren und die Kundenmeinungen und Wünsche wann immer möglich abzufragen, wird den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ähnliche Beispiele lassen sich auch für andere Branchen finden.

Flexible Geschäftsmodelle und Services statt Produkte

In der Vergangenheit wurden im Bereich Forschung und Entwicklung Produkte entwickelt, die von den Unternehmen vertrieben wurden. Mit voranschreitender Digitalisierung werden jedoch an ihrer Stelle Services angeboten, die das eigentliche Produkt plus X umfassen. Dies beeinflusst F&E auf verschiedene, dramatische Arten.

Um beim Beispiel der Autohersteller zu bleiben: Das Geschäftsmodell ist hier nicht der Verkauf von Autos; Verkauft wird tatsächlich die komfortable, flexible Fortbewegung ohne die Notwendigkeit, anderen Menschen zu nahezukommen (öffentliche Verkehrsmittel). Für dieses Konzept ist jedoch der Erwerb eines KFZs keineswegs nötig. Ride-Sharing Dienste haben dies bewiesen, in dem sie ihren Kunden den Kern des Produkts „Auto“ als Service anbieten: Miete ein Fahrzeug, wann, wo und für wie lange du es brauchst. Dabei entfallen die hohen Anschaffungskosten, die Suche nach einem sicheren Stellplatz, die Wartung und andere zeitraubende Nebeneffekte.

Erfüllt wird lediglich das zugrunde liegende Bedürfnis des Kunden nach einfacher Fortbewegung. Damit beweisen solche Dienste eine bessere Kenntnis des Marktes und seiner Potenziale, als es klassische Autoherstellers selbst von sich behaupten können. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese Angebote erheblichen Erfolg haben.

Aus einem ehemaligen Produkt wurde hierbei ein Service – ein perfektes Beispiel für den Wandel, der in den Research and Development Departments stattfindet/stattfinden sollte: Durch den Einsatz von digitaler Interkonnektivität (in diesem Fall: GPS, Ride-Sharing App, elektronische Zahlungsmethoden), Kenntnis der Kunden und ihrer Bedürfnisse sowie dem Einsatz modernster Technik (künstliche Intelligenz berechnet Fahrtpreise und Verfügbarkeiten in Echtzeit).  

Prozesse stellen den Kunden in den Mittelpunkt

Nein, das ist nicht die Stelle für den alten „Der Kunde steht bei uns im Mittelpunkt – und damit immer im Weg“ Witz. Denn der Endkunde befindet sich, durch den bereits erwähnten Zugriff auf Informationen, die einen Konkurrenzvergleich oder das Prüfen von Erfahrungsberichten zulassen, in einer deutlich stärkeren Position, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in einer Accenture Studie 83 % der befragten Manager angaben, dass die Digitalisierung eine einstmals Angebots-bestimmte Marktform zusehends in eine Nachfrageorientierte verwandele. In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder vom „empowered customer“ die Rede. Treffend, wie sich zeigt, denn der Kunde hat tatsächlich mehr und mehr die Fäden in der Hand. 

Hersteller von Produkten und Anbieter sonstiger Dienstleistungen müssen stärker mit dem Kunden und seinen Wünschen verbunden sein und dies gelingt am besten, wenn es sich in den Arbeitsprozessen widerspiegelt. Regelmäßige, oder noch besser: dauerhafte, Kundenbefragungen gehören zum absoluten Minimum moderner Forschungsabteilungen.

Der Ride-Sharing Anbieter hat zwar erfolgreich einen Teil des Transportmarktes für sich erobert; diesen behalten kann er allerdings nur, wenn er konstant den Wünschen der Kunden gerecht wird. Denn nichts hält einen Nutzer davon ab, nach abgeschlossener Fahrt die Angebote der Konkurrenz zu prüfen und als Nächstes einen anderen Dienstleister auszuprobieren. Ist der Service dort besser, wird der Kunde nicht mehr zurückkommen. Die Zeiten von Markentreue sind längst vorbei.

Fazit

Die Digitale Produktpolitik beginnt und endet mit dem Kunden und seinen Wünschen. Dies muss sich in den Prozessen und dem Selbstverständnis einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung wiederspiegeln, wenn dauerhafter Erfolg erzeugt werden soll.

Wird dieses Verständnis des Kunden mit dem Einsatz moderner Technologie ergänzt und auch nicht von Veränderungen im eigenen Geschäftsmodell zurückgeschreckt, kann der F&E Bereich zur digitalen Treibkraft eines Unternehmens werden und an vergangene Erfolge anknüpfen.

Während der Digitalisierungsdruck zwar auch in anderen Abteilungen hoch ist, kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass er im Research Bereich über die Daseinsberechtigung entscheidet. Wer den Strömungen der digitalen Transformation nicht folgt, wird schnell überflüssig und die Effekte für das gesamte Unternehmen sind katastrophal. Forschung und Entwicklung kann daher in den meisten Fällen als die Abteilung mit dem höchsten Bedarf an den Konzepten der Digitalisierung bezeichnet werden.