Digitalisierung in der Praxis: Logistik und Materialwirtschaft

Die Betonung der gewaltigen Umwälzungen durch die Digitalisierung wirkt mittlerweile wie eine kaputte Schallplatte – es führt jedoch kein Weg an der allgegenwärtigen Transformation vorbei.

Kein Bereich des modernen Wirtschaftens ist von ihr ausgenommen, und so wirkt sie sich auch auf die Logistik und Materialwirtschaft aus. Während andere Abteilungen jedoch im Kreuzfeuer aus neuen Technologien und Arbeitsweisen stehen, ist es hier eher der gewaltige Innovationsrückstand, der erhebliche Gefahren darstellt.

Um welche Neuerungen es sich dabei genau handelt, wieso sie so wichtig sind und wie sie sich am besten umsetzen lassen, wird im Folgenden beschrieben.

Ungenutzte Potenziale

Zwei Drittel der zuständigen Führungskräfte des Fachbereichs Logistik und Materialwirtschaft sind sich der Notwendigkeit bewusst, im Rahmen der Digitalisierung Prozesse umzustellen und neue Technologien einzuführen. Sie erkennen die Bedeutung von hoher Flexibilität, Kostenreduktion und Kundenzentrierung laut einer Umfrage von Forbes Insights als wichtige Pfeiler für künftigen Erfolg.

Mit lediglich 62 % der Verantwortlichen sieht aber nur ein erschreckend geringer Teil das eigene Unternehmen als in der digitalen Transformation befindlich. In Anbetracht der gewaltigen Potenziale, die in diesem Feld schlummern, scheint der Verzicht auf entsprechende Modernisierungskampagnen absurd und gefährlich.

Denn die Planung, Durchführung und Überwachung des Warenflusses vom Ursprungspunkt bis zum schlussendlichen Empfänger wird durch zahlreiche neue Methoden und Geräte beeinflusst und verbessert. Dabei ist es völlig egal, ob der Adressat der Endkunde eines Online-Shops ist oder eine Abteilung innerhalb eines Industriebetriebs. Diese Digitalisierung der Workflows ist der Schlüssel zum zeitgemäßen Management der Materialwirtschaft und Logistik.

Insbesondere der Supply-Chain-Bereich ist eine wahre Schatzkiste voll strukturierter und (noch mehr unstrukturierter) Daten. Er ist damit für den Einsatz des Internet of Things, künstliche Intelligenz, Blockchain, Predictive Analytics und weitere Anwendungen prädestiniert. Auch die Materialwirtschaft, Lagerhaltung, Transport und verwandte Stellen profitieren von diesem Pool an neuen Technologien.

Durch die Erfassung der zusätzlichen Daten, die vernetzte Geräte und neue Software zur Verfügung stellen, bieten auch Machine Learning Modelle gewaltige Potenziale, die sich im Anschluss in einer Cloud besonders sinnvoll nutzen lassen. Höhere Transparenz und dramatisch reduzierte Kosten sind die Folge.

Daneben greifen hier, wie auch in anderen Bereichen, generelle Verbesserungen, die mit neuen Arbeitsmethoden und Organisationsformen einhergehen. Mit der Abkehr von starren Hierarchien, der Automatisierung von Prozessen und der Umsetzung von Best Practices haben setzen sich positive Neuerungen für Arbeitnehmer als auch die Effizienz der entsprechenden Abteilungen durch.

Trotz all dieser attraktiven Aussichten hängt die Branche bei der tatsächlichen Umsetzung drastisch hinterher.

Während Cloud-Anwendungen bereits 2017 die 50 % Marke von Einsätzen in der Logistik knackten, bleiben IoT, Robotics und weitere Technologien abgeschlagen. Insbesondere die geringe Verbreitung von AI  (bei weniger als 10 % der Befragten im Einsatz) überrascht und enttäuscht.

Die wichtigsten Technologien in der Praxis

Internet of Things

Wenn das Internet of Things erklärt werden soll, wird oft die Materialwirtschaft eines Industriebetriebs als Beispiel verwendet. Dieser Umstand allein illustriert, wie gut die Technologie in den Bereich passt. Sie propagiert die Vernetzung von Geräten und Anwendungen und deren automatische Kommunikation, um Einblicke, Verbesserungen und neue Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln.

Das IoT kommt bereits im Smart Home Bereich erfolgreich zum Einsatz – wenn auch meist in begrenztem Umfang. Dabei kommt dem Automatisierungsaspekt jedoch in der Regel wenig Aufmerksamkeit zu, da der Fokus hier oft auf der simplen Fernsteuerung von Geräten via Smartphone liegt. In der Industrie hingegen kann durch die intelligente Vernetzung im Zusammenspiel mit hochwertiger Datenverarbeitung echter Mehrwert geschaffen werden.

Predictive Maintenance, also das bestimmen des idealen Wartungszeitpunkts anhand einer langen Liste von erfassten Informationen, ist ein konkretes Anwendungsbeispiel. Durch eine hohe Anzahl an Sensoren sowie historischen Daten wird, ohne menschliches Zutun, das perfekte Zeitfenster berechnet, in dem eine Wartung nötig ist und gleichzeitig minimale Ausfälle verursacht. Als sehr greifbares Beispiel aus dem Internet of Things Ökosystem hat es einige Berühmtheit erlangt und erfreut sich bereits weiter Verbreitung.

In der Logistik und Materialwirtschaft bedeutet die Technologie die theoretische Verfolgbarkeit jedes eingelagerten Guts, Transportmittel, Mitarbeiter usw. Dies entsteht durch die sogenannte „Erste Ebene“, die sämtliche Sensoren und sendende Geräte wie Wearables, Smartphones, Tablets etc. umfasst. Die zweite Ebene, bestehend aus der Infrastruktur zur Datenübertragung, leitet die Daten an die richtige Stelle weiter. Hierbei zeigt sich das 5G Netz als vielversprechende Technologie, da seine Datendurchsatzraten einfache und schnelle Kommunikation erlauben.

Die dritte Ebene schließlich ist das eigentliche Herzstück. Hier werden die eintreffenden Daten erfasst und verarbeitet und die Steuerung der Anlagen und Geräte ausgeführt. Je nach Gegebenheit wird blitzschnell der korrekte Befehl ausgesendet, um einen perfekten und sicheren Arbeitsablauf zu gewährleisten. Ein menschlicher Eingriff ist, zumindest in der Idealvorstellung, nicht mehr nötig, da der optimale Betrieb durch die intelligente Analyse und Berechnung sichergestellt ist.  

Mit dieser Technik ausgestattet, können Lagermanagement, Logistikbetriebe, Sender, Empfänger, Produzenten… den Weg eines Guts in Echtzeit verfolgen, den korrekten Zustand monitoren und den Ankunftszeitpunkt überwachen. Anhand historischer Daten wird darüber hinaus auch die Lagerhaltung optimiert und so Kosten verringert.

Neben typischen RFID-Chip oder Barcode basierten Verfolgungsmechanismen, die bereits heute im Einsatz sind, bietet das IoT neue Möglichkeiten, die Logistik zu unterstützen:

  • Connected Cars Technologie ermöglicht die Fahrerlose Steuerung von Fahrzeugen sowohl im Straßenverkehr als auch auf dem Werksgelände. Diese können von Picking-Robotern in der Logistik bis zu Lieferdrohnen eine Vielzahl aktueller und zukünftiger Vehikel umfassen. Auch Entwicklungen im Bereich automatisierte Fahrzeuge und Fahrassistenzsysteme ermöglichen zusehends optimierten Verkehr auf Betriebsgeländen sowie den Einsatz von einer höheren Anzahl spezialisierter Vehikel
  • Das „Smart Warehouse“ beschreibt die Lagerhaltung unter Einsatz von Internet of Things Technik, die eine allgemeine Erfassung aller vorgehaltenen Güter erlaubt. In diesem Szenario kann durch Picking-Roboter und ähnliche Technologien die Genauigkeit des Lagerinventars um bis zu 95 % erhöht werden.
  • Wearables kommen in der Logistik, Supply-Chain-Management und im Transportwesen zu Einsatz. Sie umfassen Handgeräte, Brillen, Helme oder in Stoffe integrierte Geräte und Sensoren, die Mitarbeiter in ihrer Tätigkeit unterstützen, anleiten oder ihr Wohlergehen sicherstellen.

Künstliche Intelligenz

Beim Einsatz von künstlicher Intelligenz steigt der Wert der Ergebnisse stets mit der Menge an verfügbaren Daten und deren Qualität. Kaum ein anderer Bereich kann derart viele solcher Informationen vorweisen wie die Logistik. Die Effekte des KI-Einsatz werden daher schnell zum absoluten Gamechanger.

Dank der breiten und wirtschaftlich plausiblen Verfügbarkeit von Cloud Computing Anwendungen können die großen Datenmengen mit der nötigen Geschwindigkeit verarbeitet und Ableitungen getroffen werden, die das automatisierte Management ganzer Anlagen oder die langfristige Optimierung ermöglichen.

Auch die zusehends bezahlbare Entwicklung eigener Lösungen zum Artificial Intelligence Einsatz tragen zur Attraktivität bei.

Durch ihre Fähigkeit zur Erfassung von visuellen und auditiven Informationen und einer Spracherkennung, die der menschlichen bereits überlegen ist, können AIs gigantische Datenmengen deuten und verarbeiten. Diese werden dadurch zur weiteren Verarbeitung nutzbar. Auf diese Weise können zum Beispiel die gewaltigen Mengen unstrukturierter Daten analysiert und strukturiert werden.

Die konkreten Anwendungsbeispiele in der Logistik und Materialwirtschaft sehen dabei zum Beispiel wie folgt aus:

  • Intelligente Vorhersagen (Smart Prediction) sind noch nicht völlig ausgereift; sie können aber schon heute, je nach Branche, bis zu 10 % bessere Prognosen als traditionelle, menschliche Methoden liefern. Insbesondere Unternehmen, die in sehr empfindlichen oder stark schwankenden Märkten agieren, wissen diese verbesserten Berichte zu schätzen. Durch künstliche Intelligenz können mehr Kennzahlen in die zugrundeliegende Berechnung mit einbezogen werden, was sich positiv auf die Genauigkeit auswirkt. Durch den optimierten Datenfluss zu Enterprise Software Systemen oder dem Supply-Chain-Management wird ein Informationsaustausch in Echtzeit ermöglicht.
  • Routen- und Frachtkostenoptimierung nutzt ähnliche Konzepte zur Berechnung idealer Lieferwege. Grundlage bilden auch hier AI und Predictive Analytics. Die ideale Strecke wird anhand von Echtzeitinformationen zu Wetter, Verkehr, Fahrzeug/Personal Verfügbarkeit und vielen weiteren Werten berechnet, um den geringsten Verbrauch, CO2 Ausstoß und Zeitverbrauch zu erzielen.
  • Robotics und Automatisierung stehen für den zunehmenden Einsatz von Autonomous Mobile Robots (AMRs). Diese lokalisieren, verfolgen und bewegen Güter in Lagerhäusern, Fulfillment Center, Fabrikationsanlagen usw. Unangenehme und repetitive Tätigkeiten können so den menschlichen Arbeitern abgenommen werden.

Blockhain

Die Blockchain Technologie steht nach wie vor in einem zweifelhaften Ruf und setzt sich nur langsam in der Breite durch. Dank dem Distributed Ledger Konzept kann hierdurch jede logistische Transaktion – also zum Beispiel der Transport eines Guts, Kauf, Verkauf, Einlagerung etc. – in einen eigenen „Smart Contract“ ausgelagert werden. Dies verringert Bürokratie, schafft Sicherheit und Nachverfolgbarkeit und verringert menschliches Versagen.

Blockchain-basierte Logistik dient darüber hinaus der Speicherung von relevanten Daten zum Ursprung, Transportbedingungen, Verfallsdatum und durchlaufenen Stationen zu jedem Produkt. Durch den einmaligen Identifier jedes Guts ermöglicht diese Technologie das genaue Monitoring dessen gesamter Reise. Insbesondere in Branchen mit hoher Anfälligkeit für Fälschungen ist die hierdurch steigende Sicherheit von größter Bedeutung.

Der Pharmamarkt besteht heute zu etwa 30 % aus gefälschten und damit oft wirkungslosen, oder – schlimmstenfalls – sogar gefährlichen Produkten. Auch Lebensmittel und andere Güter, die auf eine ununterbrochene Kühlkette angewiesen sind, können so besser überwacht werden.

Barrieren der Digitalisierung

Den erheblichen Potenzialen der digitalen Transformation stehen naturgemäß einige Hindernisse im Weg. Diese sind insbesonder:

  • Begrenzte IT-Kapazitäten. Einer Umfrage von GT Nexus sehen 39 % der zuständigen Manager den Mangel am notwendigen Fachwissen als Hauptproblem bei der Umsetzung von Digitalisierungsbestrebungen. Beim Versuch, dennoch bestmöglich die neuen Anforderungen zu erfüllen, werden 61 % externe Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Mangelnde Vorbereitung und fehlende Strategie. 25 % der Logistikunternehmen verfügen über keine Digitalisierungsstrategie. 48 % aller Firmen, die über Logistikabteilungen verfügen, setzen auf traditionelle Technik und überholte Software zur Kommunikation mit Partnern. Auch die Workflows werden durch Legacy Systeme gesteuert. Lediglich ein Fünftel der zuständigen Führungskräfte geben an, Zugang zu den Daten der erweiterten Supply Chain zu haben. Somit fehlt die Grundlage für das Fällen wichtiger Entscheidungen. Die oft mangelnde Kommunikation zwischen Business Development und Technischen Abteilungen erschwert diese Situation zusätzlich. 
  • Technologische Einschränkungen. Die größten Probleme in der technologischen Modernisierung der Logistik und Materialwirtschaft sind mangelnde Konnektivität der eingesetzten Systeme und unzureichende Reifegrade der eingesetzten Artificial Intelligence. Die gewaltigen Möglichkeiten des Internet of Things bleiben durch fehlende Kompatibilität der eingesetzten Geräte oft ungenutzt. Auch Lieferdrohnen und ähnliche Konzepte bleiben aufgrund mangelnder Reife einzelner Komponenten (z. B. Kollisionsvermeidungssoftware) noch Zukunftsträume.

Fazit

Die Materialwirtschaft und Logistik erleben besonders umfangreiche Verbesserungen durch den Einsatz des Internet of Things und weiterer Technologien der Digitalisierung – zumindest auf dem Papier. In der Praxis gestaltet sich die Umsetzung oft schwierig, was in Anbetracht der technischen Komplexität nicht verwunderlich ist. Der technologische Fokus liegt hier deutlich auf Ortungs- und Trackingtechnologie, Vernetzung und Big Data

Mit steigender Beschleunigung von Produktionsprozessen und höherer Flexibilität sowie gestiegenen Kundenansprüchen erleben jedoch alle Branchen deutlich höhere Ansprüche an ihre Logistik – kundenseitig oder intern.

Schnelle, datengestützte Entscheidungen und generelle Geschwindigkeit sind der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg, wie zahlreiche Digitalisierungskampagnen beweisen. Da sich alle solche Initiativen zwischen Anfangsphase und Mittelfeld bewegen, ist es jedoch schwer, Best Practices abzuleiten.