Digitalisierung in der Pharmaindustrie

Die Digitalisierung in der Biopharmazie und Pharmaindustrie setzt sich mit hoher Geschwindigkeit fort. Unternehmen versuchen, bereits vorhandene Daten zu nutzen und mit dem Einsatz von modernen Technologien wie Predictive Analytics und Big Data ideal zu ihrem Vorteil einzusetzen. Daneben sind es jedoch vor allem Veränderungen an Arbeitsprozessen und Geschäftsmodellen, die mit der digitalen Transformation einhergehen. Das Ergebnis ist die schnellere und sicherere Entwicklung von Medikamenten, da Komponenten mit künstlicher Intelligenz auf Verwendbarkeit geprüft und ihre Verwendung für beste Resultate im fertigen Produkt optimiert werden können.

Die Masse an Daten, die bereits heute von Pharmafirmen verarbeitet wird, scheint in absehbarer Zeit nur weiterzuwachsen. Daraus ergibt sich ein hoher Digitalisierungsdruck, denn aus diesem Wissen Kapital zu schlagen ist mit bisherigen Mitteln kaum noch möglich. Relevante IT-Skills können nicht länger versteckt in einer Technikabteilung isoliert bleiben, sondern müssen in das gesamte Unternehmen getragen werden.

Aufgrund der typischen Struktur in der pharmazeutischen Forschung und Produktion sowie der Hightech-Natur der Branche sind es selten neuen Geräte, die im Rahmen der Digitalisierung in die Branche eingebracht werden. Stattdessen ist es eher die Tatsache, dass der Bereich bereits über einen – im Vergleich mit anderen Industrien – gigantischen Wissensschatz verfügt, der auf den Festplatten globaler Labore lagert und auf die Nutzung wartet. Die Potenziale für bessere Datenverarbeitung sind daher gewaltig und haben einen frühen Start in die Transformation ermöglicht, der sich mit zunehmender Geschwindigkeit fortsetzt und zur Pharmazie 4.0 führt.

Eckpfeiler der neuen Pharmazie

Die Digitalisierung in der Pharmaindustrie geschieht meist im Bereich Data Science und Software und beinhaltet eher selten physische Neuerungen. Dies liegt in der Natur der Branche, in der neue Technologien und Geräte ohnehin schnell zum Einsatz kommen – Digitale Transformation oder nicht. Zu den wichtigsten Trends der letzten Jahre zählen hier:

  1. Supply Chain Tracking/Sicherheit

Wird irgendwo auf der Welt etwas zum Thema Blockchain geschrieben, so müssen sich stets die zwei gleichen Anwendungsbeispiele im Text finden, so scheint es Vorschrift zu sein: Kryptowährungen und Supply-Chain-Management für Medikamente. Beides ist besonders interessant, da der Markt hierfür Milliardenschwer und die Renditen sehr attraktiv sind. Im pharmazeutischen Bereich kommt zusätzlich noch der Schutz der Konsumenten vor potenziell gefährlichen Fälschungen hinzu.

Während Supply Chain Management in jeder Branche wichtig, lohnend und kompliziert ist, erlebt speziell die Pharmazie aufgrund der Marktgröße (ca. 1.5 Billionen im Jahr 2023) und der direkten Wirkung auf die Gesundheit der Kunden besondere Schwierigkeiten. Gefälschte Medikamente machen, laut OECD Schätzung, bereits 3,3 % des weltweiten Absatzes aus. Hier scheint die Blockchain-Technologie mit ihrer sicheren und unveränderbaren Natur der Datenspeicherung eine ideale Gegenmaßnahme zu bilden.

Hierdurch kann das gesamte Inventar eines Pharmakonzerns gemanagt werden. Auch der Diebstahl von geistigem Eigentum und Fälschungen ließe sich so effektiv unterbinden. Dabei gehen diese Bestrebungen aber nicht nur von den Unternehmen selbst aus: Auch Organisationen wie das Rote Kreuz, USAID oder der Global Fund unterstützen dieses Konzept.

BIsherige (pre-Blockchain) Supply Chains leiden unter einer Reihe von Problemen. Dazu zählen:

  • Nachvollziehbarkeit

Eine der großen Herausforderung im Supply Chain Management ist die fehlende Sichtbarkeit der einzelnen Stationen eines Produkts. Aktuell ist es nicht möglich, sicher festzustellen, wo ein Medikament seinen Ursprung hat und unter welchen Umständen es hergestellt wurde – das schließt auch Verunreinigungen bei der Herstellung und ähnliche Probleme mit ein.

  • Rechtskonformität

Der Verkauf und Export von Medikamenten ist mit einem extrem langen und aufwendigen Papierkrieg verbunden, der unter anderem Drogenhandel verhindern und Sicherheit beim Konsum herstellen soll. Aufgrund der schwierigen Nachvollziehbarkeit der aktuellen Medikamenten-Supply-Chain entsteht hier großer Aufwand, der sich letztlich in höheren Preisen und geringeren Absatzgeschwindigkeiten widerspiegelt.

  • Aufrechterhalten der Kühlkette

Eine überraschend hohe Anzahl an Medikamenten muss konstant gekühlt werden, um sicher verabreicht werden zu können. Das Einhalten dieser Kühlkette kann mit aktuellen Methoden kaum oder nur schwer überwacht werden.

Der Einsatz einer Blockchain basierten Supply Chain behebt diese Schwierigkeiten zuverlässig, da sich die gesamte Erfassung ändert. Dies kann konkret so aussehen:

  • Schritt 1: Herstellung

Ein Pharmaunternehmen stellt in gewohnter Weise ein Medikament her. Es wird zusätzlich mit einem QR-Code versehen, der zu den Daten führt, die in einer Blockchain gespeichert wurden. Dazu zählen ein Zeitstempel, der Name des Produkts, Herstellungsort und das Produktions- und Ablaufdatum. Sind alle Informationen hochgeladen, steht eine Hash-ID zur Verfügung, mit der alle Transaktionen erfasst werden können.

  • Schritt 2: Transport

Durch Fahrzeuge, die mit IoT-Technologie ausgestattet sind, wird der anschließende Transport durchgeführt. Dabei werden die relevanten Daten als Transaktionen erfasst und zur Blockchain hinzugefügt. Sie werden dadurch genauso lesbar, wie die ursprüngliche Produktion. Handelt es sich um gekühlte Medikamente, wird auch die Einhaltung der Kühlkette bzw. ihre Unterbrechung entsprechend verzeichnet. Auch das Senden von Realtime-Daten über den Standort der Ware ist möglich.

  • Schritt 3: Verteilung

Zwischenhändler verifizieren bei Empfang der Ware deren Herkunft und die Korrektheit des Produkts um sicherzugehen, keine Fälschung erhalten zu haben. Ist dieser Vorgang abgeschlossen, unterzeichnen Sie den Erhalt digital – ein Vorgang, der ebenfalls in die Blockchain eingetragen wird. Ein Smart Contract zur Auslieferung der Medikamente an die Krankenhäuser, Kliniken, Apotheken etc. wird ausgelöst und führt zum nächsten Schritt.

  • Schritt 4: Verkauf

Steht ein Weiterverkauf durch eine Apotheke an, werden die Medikamente nun dorthin geliefert. Auch hier wird eine digitale Unterschrift gegeben, sobald die bisherigen Schritte geprüft wurden. Ungereimtheiten würden bei Prüfung der Blockchain sofort auffallen und die Annahme verweigert. Ist hingegen alles in Ordnung, wird auch hier eine digitale Unterschrift verzeichnet.

  • Schritt 5: Nutzung

Im letzten Schritt können Patienten (oder verabreichendes Fachpersonal) den bekannten QR-Code ebenfalls scannen und die Korrektheit der gesamten Herstellungskette überprüfen. Nur dann wird das Medikament vom Zwischenhändler oder Pharmazeuten erworben und eingesetzt. Der hinterlegte ID-Code liefert die Informationen zu allen durchlaufenen Stationen. Konsumenten können im Anschluss Feedback zum jeweiligen Medikament geben, welches ebenfalls gespeichert werden kann. Das schließt auch eine Bewertung der Effektivität mit ein, die wiederum den Produzenten zugutekommen könnte.

Aufgrund ihrer Struktur ist die Blockchain fälschungssicher – ihre Information ist nicht an einem einzelnen Punkt gespeichert, an dem ein Angreifer eindringen und Änderungen vornehmen könnte. Werden Daten hinzugefügt, muss ein neuer Block an die Kette angefügt werden, der diese enthält. Das Ergänzen, Löschen oder Bearbeiten ist zwar möglich; hierfür muss jedoch ebenfalls ein neuer Block her und die Veränderung bleibt für immer sichtbar. Dieser Aufbau macht das System für das Supply-Chain-Management im Allgemeinen und die Pharmazie im Speziellen besonders geeignet.

  1. Big Data und Analytics

Der Pharmazie hat es noch nie an Wissen gemangelt; diese gewaltigen Datenmengen können mit verbesserten digitalen Kapazitäten effizienter genutzt und Ableitungen getroffen werden, die in der Vergangenheit unmöglich waren. Während die Anwendungsbeispiele zahlreich und hochinteressant sind, sei hier zuerst das Verbessern von Herstellungsprozessen durch Digital Analytics erwähnt. Dabei werden eine große Anzahl von in der Praxis gewonnenen Datensätzen verwendet, um den genauen Zusammenhang zwischen der Variabilität in Rohmaterialien und der Effektivität des Herstellungsprozesses zu ergründen. Das Resultat ist eine konstante und berechenbare Qualität in der pharmazeutischen Produktion.

Weiter wird auch in den Tests neuer Medikamente aller Reifegrade auf den Einsatz digitaler Analyse gesetzt. Da die meisten Unternehmen bereits hunderte solcher Testreihen in der Vergangenheit abgeschlossen haben, stehen riesige Datenschätze zur Verfügung, die zur Berechnung von Best Practices und wahrscheinlich wirksamen Zusammensetzungen herangezogen werden können.

Auch nach der Marktreife können die Möglichkeiten der Datenerfassung, die mit der Digitalisierung möglich wurden, zum weiterführenden Monitoring genutzt werden. Meldungen zur Wirksamkeit, Nebenwirkungen etc. können schnell und problemlos erfasst werden und zur Verbesserung sowie als Grundlage für die zukünftige Forschung Einsatz finden.

Und selbstverständlich wird in der Pharmazie, wie in allen anderen Branchen auch, die Möglichkeit der Datenanalyse zur Verbesserung des Marketing&Sales Erfolgs eingesetzt. Dabei können Medikamente besser und gezielt an die jeweils geeignetsten Abnehmer verkauft bzw. Beworben werden. Bessere Kundenkenntnis und tiefere Einblicke in ihr Verhalten sind, wie üblich, auch hier bares Geld wert.

Zu den generellen Vorteilen zählt auch die Effizienzsteigerung durch ein digitales Prozessmanagement, also das Optimieren der internen Abläufe durch die digitale Erfassung und Analyse. Dies kann vom einfachen ersetzen von Papierformularen durch digitale Workflowmanagements (hierfür ist keine vorherige Analyse, sondern lediglich gesunder Menschenverstand erforderlich) bis hin zu umfassenden Reorganisationskampagnen reichen.

  1. Künstliche Intelligenz

Aufbauend auf eine hochwertige Datenbasis kann mithilfe von künstlicher Intelligenz ein gewaltiger Sprung auf dem Weg zu neuen, effizienteren Produkten erzielt werden. Dabei kann zum Beispiel ein bisher scheinbar unüberschaubares Meer an unstrukturierten Daten automatisiert erfasst und nutzbar gemacht werden. Denn lediglich 10 % aller vorliegenden Daten werden in Unternehmen, unabhängig von der Branche, als strukturiert eingeschätzt. Dieser Zustand lässt riesige Potenziale ungenutzt.

Der große Vorzug von KI ist dabei der automatische Ablauf – ist ein solches System erst einmal “angelernt”, spielt es keine Rolle, ob 10 Gigabyte oder 10 Exabyte zu bearbeiten sind. Abgesehen von der (überraschend geringen) Verlängerung der Prozessdauer steigert sich mit größerer Datenmenge sogar die Qualität der Ergebnisse weiter – ebenfalls ein positiver Nebeneffekt von Artificial Intelligence.

Und selbstverständlich sind auch hier weitere positive “Randeffekte” zu beobachten. Google konnte bereits 2017 die Energiekosten für Lüftung, Transformatoren etc. in seinen Rechenzentren von 50 auf 12 % senken, in dem man die hauseigene AI einsetzte, um Abläufe zu optimieren. Etliche Unternehmen habe seither ähnliche Kampagnen gestartet und ebenso eindrucksvolle Einsparungen durchgeführt. In der Pharmaindustrie liegt eine Starke Internationalisierung mit umfangreicher Infrastruktur an verschiedenen Standorten vor. Dies verursacht generelle hohe Aufwände und Kosten – Künstliche Intelligenz hat auch hier das Potenzial, erhebliche Verbesserungen zu ermöglichen.

  1. Augmented Reality

Augmented Reality, also das Erweitern der Wahrnehmung eines Nutzers, bietet interessante Möglichkeiten für den Pharmabereich. Die Technologie lässt sich in Laborumgebungen, Cleanrooms und in der Produktion einsetzen und ermöglicht zum Beispiel den schnellen, weltweiten Kontakt mit Experten. Dies kann nützlich sein, um Abweichungen in sensiblen Prozessen zu vermeiden, Qualität zu sichern oder neue Mitarbeiter zu trainieren.

Im Gegensatz zu virtueller Realität, die den Nutzer mittels VR-Brille vollständig zu umgeben scheint, werden bei AR-Anwendungen meist nur Einblendungen in das Sichtfeld vorgenommen. Diese zeigen dem Nutzer etwa den passenden Ort für ein Bauteil, den Weg zu einem bestimmten Gut in einem Warenlager oder die notwendige Bewegung, um eine Reparatur vorzunehmen. Audio-Informationen sind ebenfalls möglich, bleiben aber eher die Ausnahme (direkter Kontakt via Anruf hingegen erfreut sich einiger Beliebtheit). Auch die direkte Übertragung des Sichtfeldes in Videoform ist ein wichtiger Anwendungsfall.

Aufgrund der besonders sensiblen und präzisen Prozesse in der Pharmazie ist die Unterstützung mittels AR besonders interessant. Erfahrenere Mitarbeiter oder Experten können so, ganz ohne physische Anwesenheit, zur Seite stehen. Auch die Systeme selbst leisten einen enormen Beitrag zur korrekten Durchführung, da sie interaktive Hilfen und Einblendungen geben können. Die gesamten Vorgänge können parallel oder im Anschluss gestreamt werden und so weitere Lern- oder Kontrolleffekte bieten. 

Neue Visualisierungsmethoden, wie das Bewegen von chemischen Molekülen oder Körperteilen, wirken nicht nur futuristisch; sie bieten auch tatsächliche Nutzen in der Forschung und Entwicklung neuer Medikamente.

Fazit

Der Pharmabereich erlebt einen umfassenden Einfluss von disruptiven, neuen Technologien. Während dies gewaltige Potenziale mit sich bringt, fällt es vielen biopharmazeutischen Firmen nach wie vor extrem schwer, die richtigen Felder für ihr Investment auszuwählen, denn Veränderungen geschehen fast über Nacht. Die Vision von digitalem Erfolg braucht Zeit und ist von Fehlschlägen gekennzeichnet. Dabei können jedoch viele wichtige Lektionen aus anderen Industrien übernommen werden: Die Transformationen muss in das gesamte Unternehmen getragen werden und kann sich nicht nur auf den IT-Bereich beschränken und eine entsprechende Kultur ist durch alle Bereiche, inklusive und insbesondere des C-Levels, nötig.